ahnend_2

„ahnend_2“, 2023
HD Video, Ton, 07:32 min.

Ausschnitt aus einer Rede von Franz Schneider zur Ausstellung „ahnen“ von Doris Maximiliane Würgert im Streitfeld-Projektraum 2023

… Vertrauen wir unseren Ahnungen, so erkennen wir in den Bildern von Doris Maximiliane Würgert ein ganz besonderes Konzept von Zeit und Erinnerung, das sich nicht in gerichteter Linearität erschöpft, sondern Verdichtungen und Dehnungen, Parallelitäten und sogar Umkehrungen glaubhaft imaginiert. Dies erzeugt eine Stimmung, die stets changiert zwischen heimlicher Vertrautheit und beunruhigender Heimlichkeit. Besonders in der filmischen Arbeit „ahnend_2“ ist diese Ambivalenz nahezu verstörend greifbar. Wie in einem Videospiel durchstreift der Betrachter ein verlassenes Gebäude, dessen Räume lediglich einige zurückgebliebene Möbelstücke – Stuhl, Bett, Schreibtisch – enthalten. Die Ungewissheit, was sich hinter der nächsten Abbiegung, der nächsten Zimmertür verbirgt, schafft eine Atmosphäre der Unheimlichkeit; die Möbelstücke, die von ausgesuchter handwerklicher Sorgfalt und täglichem Gebrauch künden, erzeugen ein Gefühl heimlicher Nähe; sie werfen umso schmerzlicher die Frage auf, wohin dieses gelebte Leben verschwunden ist, welches sich in seinen Spuren hier, wenn auch flüchtig und vergänglich, manifestiert. Am Ende des Films erscheint eine krakelige schriftähnliche Lineatur, eine nicht dechiffrierbare Botschaft, die an einen späteren Empfänger gerichtet ist. Im Widerspruch dazu ist eine menschliche Äußerung, ein Flüstern zu hören, welches aber offensichtlich durch eine konträr laufende Tonspur rückwärts, also in die Vergangenheit zielt. Diese erneute Infragestellung von linearer Zeit und Erinnerung ist zugleich gekoppelt mit einer weiteren, ungeheuren In-Eins-Setzung von Nähe und Ferne: Während die Kamerafahrt durch das von Erinnerungsstücken vollgestellte Haus auf die intimste Nähe, auf das menschliche Ich verweist, kündet die erscheinende unlesbare Wandschrift mit ihrem verstörenden Flüstern auf eine uns fast schon ungreifbare Ferne, der wir uns durch kein rationales Wissen nähern können, deren Nähe wir nur erfahren und ahnen können: „im echten Sinne eines unendlichen Verlangens von letzter Ferne zu letzter Ferne.“ (Albert Görland).